Montag, 9. März 2020

Stadtpfarrer Hermann Keicher (1883-1954): Er nahm das Geheimnis mit ins Grab



Bildertanz-Quelle: Helmut Akermann

Seit 1926 war Hermann Keicher Stadtpfarrer in der Sankt-Wolfgangs-Kirche in Reutlingen.Als er 1954 starb, hatte er justament eine sehr schwierige Phase hinter sich. Denn in dem 1951 geführten Verfahren gegen Oskar-Kalbfell über die Erschießung von vier Männern, die als Geisel für den Tod eines französischen Soldaten auf Weisung der Besatzung büßen mussten, war er als Zeuge aufgerufen worden. Es ging um die Frage, wer die vier Männer benannt hatte, die - obwohl völlig unschuldig an dem Tod des Soldaten - am 24. April 1945 mit ihrem Tod dafür büßen sollten. Es war der Verdacht geäußert worden, dass Kalbfell eine Namensliste empfohlen hätte.
Der katholische Pfarrer Keicher war vom Armeegeistlichen der Franzosen aufgefordert worden, die vier Geiseln in ihren letzten Stunden zu begleiten - obwohl keiner der vier katholisch war. Das Gericht wollte 1951 von Keicher wissen, was in diesen letzten Stunden geschehen war. Der Pfarrer berief sich auf sein durch das Seelsorgeamt legitimiertes Zeugnisverweigerungsrecht. Doch das wollte das Gericht nicht akzeptieren und verdonnerte Keicher zu einer Geldstrafe. Nachdem er auch weiterhin schwieg, hätte das Gericht nun Keicher mit einer Haftstrafe belegen müssen. Doch mit Rücksicht auf sein Alter verzichtete das Gericht. Keicher schwieg über die Hintergründe auch weiterhin. Er nahm das Geheimnis mit ins Grab. Der Oberbürgermeister Kalbfell war übrigens bei der Beerdigung im Leichenzug dabei. (Raimund Vollmer)
Erwähnt sei auch noch, dass - wie sich später herausstellte - der Soldat Opfer eines Motorradunfalls gewesen war, also kein Anschlag auf ihn verübt worden war. Eine Frage, die man klären müsste, wäre, inwiefern Bürgermeister grundsätzlich von der Besatzung gezwungen wurden, vorsorglich eine solche Geiselliste herzustellen. In Pfullingen war dies zum Beispiel so.

Erstveröffentlichung am 15. August 2013 im Bildertanz-Blog

5 Kommentare:

HamptiDampti hat gesagt…

Ich verstehe nicht ganz, war erwiesen, dass Sie unschuldig waren? Und wenn ja, warum war dann noch relevant, was in deren letzten Stunden geschah?

Oder stehe ich auf dem Schlauch? Auf jeden Fall: Spannend!

Raimund Vollmer hat gesagt…

Lieber HamptiDampti, die Geschichte dazu hatten wir jüngst hier veröffentlicht. Hintergrund: Die Sieger hatten aus "Rache" (war üblich in Kriegszeiten) dafür, dass einer von ihnen getötet wurde, willkürlich Menschen aus der Menge gegriffen und getötet. Völlig unschuldige Menschen. Die Deutschen haben es nicht anders gemacht. Oft war die Regel 10:1. Hier war man mit 4:1 sogar recht "milde". Im Prozess ging es letztlich darum, ob Kalbfell vier "Todeskandidaten" benannt hat oder nicht. Keicher hätte möglicherweise eine Antwort aufgrund der Aussagen der Geiseln dazu machen können.

Hermann hat gesagt…

Die Geiselerschießung hat in Reutlingen jahrelange Nachwirkungen gezeigt. Pfarrer Keicher der die Geiseln begleitet und - man muss es so ausdrücken - auch auf den Tod vorbereitet hat, kam, als infolge des von Kalbfell beantragten Disziplarverfahrens - gerichtlich darüber befunden werden musste, ob Kalbfell die Geiseln bestimmt hat oder nicht, die entscheidende Rolle zu, weil vermutet wurde, dass eine oder mehrere Geiseln ihm im "Beichtgespäch" den Namen Kalbfell genannt hätten. Nur so hätte das Gericht darüber befinden können, ob Kalbfell schuldig oder nicht schuldig i. S. der Disziplinarverfahrens sei, da es andere Zeugenaussagen oder Beweismittel offensichtlich nicht gab. Pfarrer Keicher hat geschwiegen - Respekt vor dieser Haltung - aufgrund des Beichtgeheimisses. In einem Abschiedsbrief hatte ein Opfer geschrieben: "K." hat.... Nur wer war "K"? nur Keicher hätte hier noch Licht ins Dunkel bringen können. Die Opfer waren teils stadtbekannte Pg`s, ein Lazarettarzt - es gab Vermutungen oder Unterstellungen, dass Kalbfell in diesem Fall Rechnungen aus der NS-Zeit beglich. Die Antwort auf all die Fragen dürften heute von niemanden mehr gegeben werden können, das ganze ist auch heute noch mehr oder weniger ein Tabuthema. Die Erinnerung an die Ereignisse sind teils präsent, teils verschwommen. Aber der Fabrikant Paul Fallscheer hat - soweit mir bekannt - auf eigene Kosten die Gedenkstätte am Schönen Weg einmal herrichten lassen. Wie sieht sie heute aus? Wie geht die Stadtverwaltung mit damit um?

Patrick Wunder hat gesagt…

Ein wirklich sehr interessanter beitrag, Danke dafür. Meine frage wäre, sind die einschusslöcher an der Marienkirche, von den 4 erschoßenen? oder woher kommen die ?.

Danke

Anonym hat gesagt…

Wenn immer wieder die Frage gestellt wird:"Ob die Hindenburgstraße, noch Hindenburgstraße heißen soll".

Stelle ich nun die Frage:"Soll der Oskar-Kalbfell-Platz noch so heißen?"

Soll der Platz noch den Namen eines ehemaligen Bürgermeisters tragen, der versucht hat Mitglied der "NSDAP" zu werden????

Von dem man nicht weiß, ob er Menschen aus der Reutlinger-Bevölkerung ausgesucht hat um sie erschießen zu lassen?

Von dem man weiß, dass er das Auto seines Freundes hat requirieren lassen.
Nur, dass er als Bürgermeister ein "standesgemäßes" Fahrzeug hat?

Ich bin dafür, dass der Name des damaligen Bürgermeister, von den öffentlichen Plätzen und Gebäuden entfernt wird und dafür die Namen der unschuldig erschossenen Opfern an diese Stelle kommen!!!!