Der Wächter auf dem Turme
Bis zum 2. Weltkrieg war das Tübinger Tor von Wächtern und
deren Familien besetzt. Jahrhundertelang hatten sie die Stadt behütet und
bewacht. Zuerst dienten sie dazu, das Vorgelände im Blick zu behalten und vor
dem Anrücken kriegerischer Truppen zu warnen. Später war ihr Blick mehr nach
innen gerichtet - aus feuerpolizeilichen Gründen. Und natürlich sollten sie der
Bevölkerung mitteilen, welche Stunde geschlagen hat. Die Bürger wussten dann
nicht nur, wie spät es ist, sondern hatten auch die Gewissheit, dass der Posten
besetzt war.
Mächtige Konkurrenz hatten die Torwächtern in den Hütern der
Marienkirche. Deren Hochwächter wohnten nicht im Turm, sondern in der Stadt.
Jeweils zwölf Stunden Dienst hatten die drei Wächter, die auf einer Stechuhr
anzeigen mussten, dass sie treu und brav ihre Runden drehten. Das Läutwerk, das
jeder Viertelstunde ausgelöst wurde, mussten sie nicht betätigen. Dafür sorgte
ein automatisches Uhrwerk.
Konkurrenz zu den Wächtern des Tübinger Tors waren sie
insofern, weil beide Gruppen darum wetteiferten, wer als erster einen Brand
meldete. Denn dafür bekamen sie dann eine Sondervergütung. Der Lohn war alles
andere als üppig, so dass Besucher stets sehr willkommen waren - vor allem
dann, wenn sie neben dem Lob für die schöne Aussicht auch noch ein Trinkgeld
hinterließen. Dass dies erwartet wurde, darauf wies ein Plakat hin: "Wer
diese Höhe will ermessen, Darf den Hochwächter nicht vergessen."(Text: RV)
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