... deren Geschichte nun auch schon mehr als 100 Jahre
zurückliegt. Gewidmet meinem Freund Wolf-Rüdiger Gassmann, der eigentlich alles über die Straßenbahn und die Büschelesbahn weiß und diesen Beitrag sicherlich kritisch begutachten wird. Ich freue mich auf seine Anregungen, zumal ich weiß, dass er da selbst ein größeres Werk in der Pipeline hat. Raimund Vollmer
Am 1. November 1899 hatte die Dampfstraßenbahn ihren Betrieb
zwischen Eningen unter Achalm und Reutlingen aufgenommen. Initiatoren waren die
Eninger, deren Krämer und Hausierer von der Achalm aus mit Wollwaren und
Stoffen überall in Süddeutschland und im anrainenden Ausland unterwegs waren
und in der Lokalbahn eine Anbindung an die große weite Welt sahen: Denn die
Endstation auf der anderen Seite war der Hauptbahnhof in Reutlingen, der seit
1859 für die Industrialisierung und den neuen Wohlstand der alten Reichsstadt
stand. Und um den Anschluss nicht zu verlieren brauchten die Eninger dringend
einen Schienenweg. Alle Bemühungen zuvor, neue Eisenbahnlinien - wie eine
Echaztalbahn - durch das Dorf am Fuße der Achalm zu leiten, waren gescheitert. Der
Umweg über Eningen war den Planern zu weit. Als Ausgleich sollte 1871 eine
Pferdebahn zum heutigen Südbahnhof führen. Keine Idee, die den Eningern gefiel.
So schlugen sie 1875/76 in einer Denkschrift vor, eine Verbindung von Reutlingen über
Eningen zu errichten - als Teilstück einer strategischen Eisenbahnlinie
zwischen Straßburg und Ulm. Aber daraus wird nichts. Selbst die 1887/1888
erneuerten Pläne einer Echaztalbahn hinauf auf die Alb ignorieren den Umweg
über Eningen. Die Wünsche der Gemeinde werden 1889 abgelehnt, zumal die anderen
Gemeinden sich ebenfalls negativ dazu äußern. Eningen ist isoliert. Die Bürger
sind stinksauer. Und als dann die neue Linie 1892 in Betrieb genommen wird,
findet auf dem Südbahnhof, der ja zu Eningen gehört, aber 2,5 Kilometer von der
Ortsmitte entfernt ist, kein großer Empfang statt. Lediglich der Pfarrer und
sieben Herren begrüßen die Ankunft des Sonderzuges.
Aber die Eninger geben nicht auf. Vor 120 Jahren, 1895, entwerfen
sie eine neue Denkschrift, in der sie vorschlagen, eine eigene Dampfstraßenbahn
nicht nur bis zum Anschluss Südbahnhof zu bauen, sondern gleich bis in die
Innenstadt Reutlingens, bis zur Endstation am Listplatz. Denn Eningen war nach
der Industrialisierung zu einer Arbeiterwohngemeinde geworden. 500 Arbeiter
kamen täglich von Eningen nach Reutlingen - und das waren alles potentielle
Fahrgäste. Mit diesem Konzept glaubten die Eninger würden sie Bauunternehmen
gewinnen können, die das Projekt realisieren würden.
So kam es denn auch. Erbauer wird der Ingenieur Hermann Ritter
von Schwindt, der bereits mehrere Linien errichtet hat. Zwar zögert die Stadt
Reutlingen noch ein wenig herum mit dem Beginn der Bauarbeiten, duldet aber
schon einmal 1893 die notwenigen Vermessungsarbeiten. Mit den Bauarbeiten
können die Eninger aber erst 1898 beginnen. Ärger gibt es immer wieder beim
Grunderwerb. Besonders die Reutlinger Weitgärtner, die an der späteren
Haltestelle Spitzwiesen auf Eninger Gemarkung ihr Gütle haben, wollen nicht
Grund und Boden so einfach hergeben. Aber auch diese Schwierigkeiten werden
gemeistert. Im Februar 1899 können dann die Arbeiter endlich mit der
Gleislegung beginnen. Noch im selben Jahr soll schließlich die Linie eröffnet
werden.
Doch die Gemeinde Eningen hat dem Ingenieur den Kredit
gesperrt, weil dieser noch nicht sämtliche Gleiszugänge der Betriebe
hergestellt hat. Am 15. September lässt Schwind die Eröffnungsparty platzen.
Doch schließlich ist es dann am 1. November 1899 soweit. Der
Zug mit einer Spurweite von einem Meter tuckert von nun an stündlich zwischen
der Stadt und dem Dorf, vom Listplatz durch die Gartenstraße zum Burgplatz, von
dort aus durch die Albstraße bis zum Südbahnhof, der bereits auf Eninger Gebiet
liegt. Schließlich endet der Zug in Eningen
Der erste Zug geht morgens um 5.35 Uhr in Eningen ab, der
letzte abends um 21.35 Uhr. 20 Pfennig kostet die Fahrt über die 4,8 Kilometer
lange Strecke, was aber - vor allem als Wochenkarte - den Arbeitern im
Verhältnis zu ihren Lohn zu teuer ist. Es kommt schon 1899 zu Protesten. Die
Bahn wird so wenig wie möglich genutzt. Bis zu fünf Personenwagen sind erlaubt,
doch normalerweise genügen zwei bis drei Wagen. Später, ab 1908, dürfen sogar
neun Wagen angehängt werden - mit dem Ergebnis, dass bei der Aufwärtsfahrt in
Richtung Eningen zwei Lokomotiven vorgespannt werden.
Das Bähnle transportiert nicht nur Menschen, sondern ab 1900
auch Material. Sogar die Post nimmt die Dienste des neuen Verkehrsmittels in
Anspruch. Weil über das Bähnle die Öfen der Reutlinger Hausfrauen mit
Reisigbüschel aus Eningen versorgt werden, bekommt das Gefährt den Spitznamen
"Büschelesbahn". Doch das "Bähnle" erleidet das Schicksal
aller "öffentlichen" Verkehrsmittel. Es kommt aus den roten Zahlen
nicht heraus, obwohl es Pläne gab, das Netz der dampfbetriebenen Bahn
auszuweiten. Als jedoch die Idee einer Elektrischen Straßenbahn aufkommen, ist
das Schicksal des Büschelesbähnle besiegelt.
1 Kommentar:
Lieber Raimund hast du toll gemacht, tolle Zusammenfassung der Lokalbahn Reutlingen-Eningen mit diesen Fotos. wolf-Rüdiger Gassmann
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