Montag, 28. Dezember 2015

Reutlinger Denkmalpflege - Ein Kommentar eines Ur-Reutlingers...



... der unsere Bildertanz-Seite in der Vergangenheit mit viel historischen Material begleitet und immer wieder zur Feder greift, weil er unglücklich darüber ist, wie in Reutlingen, seiner Heimatstadt, mit dem Erbe umgegangen wird.  Unser Bild zeigt Oskar Kabfell, von 1945 bis 1973 Oberbürgermeister von Reutlingen, am Ort der Entscheidungen: in seinem Büro, das bis 1966 in dem 2015 abgerissenen GWG-Gebäude war. Es diente nach dem Krieg, in dessen letzten Tagen das alte "Neue Rathaus" zerbombt worden war, zwei Jahrzehnte lang als Ersatzrathaus. Das Foto stammt aus der Sammlung des Autors Hermann Rieker.

Gedanken von Hermann Rieker
Ich vergleiche das Reutlinger Stadtbild gerne mit einem Gesicht, die Eindrücke meiner Jugend und auch zur Zeit der Pubertät sind mir durchaus präsent, so wie ich älter wurde, ist natürlich auch das Gesicht der Stadt "gealtert", es hat Falten und Flecken bekommen. In der Jugend waren Abbruch und Neubauten der Zeitgeist. Die Stadtverwaltung unter Kalbfell hat das massiv forciert. Mit der Konsequenz, dass die Besitzer der Altstadthäuser auf Investitionen verzichteten oder gar der Stadt oder GWG zum Kauf anboten, in der Erwartung einer flächendeckenden Sanierung der Objekte durch Abriss und Neubebauung im Stil der Zeit (Flachdach, Beton, autogerechte Straßenführung).
So verschwanden beispielsweise Klein-Venedig und die Alteburginsel sang- und klanglos. Dies setzte sich in den folgenden Jahren fort. Eine klaffende, bis heute nicht verheilte Wunde riss der Bau des Rathauses in die Altstadt. Ein ganzes Viertel wurde abgetragen, der damalige Stadtwerkeflügel zur Lederstraße hat einen nicht wieder gut zu machenden Eingriff in gewachsene Strukturen zu Folge gehabt, der auch heute noch mit Händen zu greifen ist. Sie haben in Ihrem Post vom 17.12. anhand von Bildern gezeigt, welche Verluste man bilanzieren muss: Klein-Venedig im Nachkriegszustand, Spendhausgasse (ein Teil der Altstadt der der Stadtbibliothek und der VHS geopfert wurde, obwohl dieser Teil vom Stadtbrand von 1726 verschont wurde), Karlsplatz mit Samenhaus Sprandel im Nachkriegszustand, Wässere, Lindachgarage (im nachhinein ein tolles Beispiel für einen Zweckbau aus den 20er Jahren), die Brache des Max-Moritz-Geländes an der Stuttgarter Straße und die obere Gartenstraße/Beutterstraße).
Ich komme nochmals auf das Gesicht einer Stadt zurück: Ein Gesicht verändert sich natürlich im Laufe des Lebens, es altert, bekommt Falten und doch hat es über die ganze Lebensspanne Grundlinien, die konstant bleiben. Wie ist es, wenn wir dies auf das Stadtbild von Reutlingen übertragen. Da muss man konstatieren, es hat ganz erheblichen Schaden gelitten, über weite Strecken ist es nicht einmal mehr in Ansätzen wieder zu erkennen, Nun weiß ich auch, dass die Denkmalpflege nur wenigen Gebäuden (es dürfte nicht viel mehr als eine Handvoll sein), absoluten Schutz zuspricht, eine Folge des verheerenden Stadtbrandes und des raschen und mangels Zeit und Ressourcen raschen und billigen Wiederaufbaus. So sind in dieser Zeit praktisch keine Denkmäler entstanden, aber das Ensemble, das dennoch entstand, wurde leider von der Denkmalpflege, die immer auf herausragende Einzeldenkmale sich konzentrierte, eigentlich nie als schutzwürdig angesehen.  So stehen wir dank der Entwicklung der Nachkriegszeit bis heute eigentlich vor einem "Trümmerfeld",
Man nehme nur den Zwiefalter Hof, was für ein sozialer Slum ist daraus geworden. Bei anderen Stellen der "Altstadtsanierung" aus dieser Zeit kann man einen ähnlichen Entwicklungsstand konstatieren.  Was dringend erforderlich ist, wenn dieser Entwicklung bei anderen noch halbwegs intakten Stadtarealen Einhalt geboten werden soll, ist die Errichtung von Schutzzonen (andere nennen das Traditionsinseln) für diese Bereiche. Glücklicherweise hat der Bildertanz bei K 8 die Pläne von Investoren, die mit mehr oder weniger erkennbarer Sympathie der Stadtverantwortlichen gediehen, veröffentlicht und die Meinung der Öffentlichkeit  und die Diskussion darüber führte dazu, dass man von der Totalsanierung Abstand genommen hat, was aber aus dem Kammerlichtspieleareal ein kreativloses Architekturbüro entwickelt will, sollte nicht verwirklicht werden, es gibt bestimmt kreative Architekten, die sensiblere Planungen erstellen können.
Ich plädiere dafür, dass die Stadtverwaltung endlich sich aufrafft und enge Leitlinien für den Erhalt der Altstadt erarbeitet und von Anbeginn der Planung der Konzepte die Öffentlichkeit vollständig und umfassend einbezieht, damit dem Gemauschele und der Politik der vollendeten Tatsachen ein für allemal ein Ende geboten wird. Das ist nicht einfach, aber unumgänglich, damit Planungen im fortlaufend kritisch begleitet werden können. In diesem Zusammenhang seien am Stadtbild interessierte auf den Band der Reutlinger Geschichtsblätter 2004 hingewiesen, ich kann zwar dem Text in vielen Teilen nicht zustimmen, aber das dort enthaltene Bildmaterial lässt einen schmerzhaft erfahren, welche bleibenden Schäden dem Stadtbild ab den 60er Jahren zugefügt wurden, es ist die Aufgabe der jetzt Interessierten darauf hinzu arbeiten, dass diesem Treiben nachhaltig Einhalt geboten wird. Ich erwähne hier zum Abschluss nur noch einmal den Abriss des GWG-Gebäudes, der dem Stadtbild hier nicht wieder gutzumachenden Schaden zugefügt hat.


Bildertanz-Quelle:Sammlung Hermann Rieker

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Viel retten kann man jetzt nicht mehr. Reutlingen wurde versaut.
Natürchlich erleiden nur die älteren RT-Liebhaber Schmerzen darüber. Jede Generation erfährt die Stadt so wie sie sich in ihrer Jugend darstellt.
Auch die nachfolgenden Generationen werden wohl in fortgeschrittenem Alter leidlich erfahren müssen, wie Liebgewonnenes zerstört wird.
Für mich persönlich wurden ca. 70% all meiner gewohnten Gebäude, Straßen und Natur aus der Jugendzeit zerstört oder neugestaltet. War wohl immer am falschen Ort.
Die Erklärung ist vielleicht ganz einfach:
Die Ingenieure dieser Welt wollen beschäftigt bleiben. Darum wird dauernd alles wieder neu gemacht. Es gibt nie das eine perfektes Produkt wie eine Zahnbürste, ein Toaster, ein Schampoo, ein Katzenfutter, ein Waschmittel, ein Elektrorasierer, ein Auto, eine Straßenführung, ein Parkplatz, ein Rathaus, eine Stadthalle, etc. und natürlich ebenso ausschlaggebend der "Lifestyle" einer Wohlfühlgesellschaft mit "Wellnessprodukten" im dekadenten Endstadium.
Nach dem nächsten Krieg fängt alles wieder von vorne an.