... der unsere Bildertanz-Seite in der Vergangenheit mit viel historischen Material begleitet und immer wieder zur Feder greift, weil er unglücklich darüber ist, wie in Reutlingen, seiner Heimatstadt, mit dem Erbe umgegangen wird. Unser Bild zeigt Oskar Kabfell, von 1945 bis 1973 Oberbürgermeister von Reutlingen, am Ort der Entscheidungen: in seinem Büro, das bis 1966 in dem 2015 abgerissenen GWG-Gebäude war. Es diente nach dem Krieg, in dessen letzten Tagen das alte "Neue Rathaus" zerbombt worden war, zwei Jahrzehnte lang als Ersatzrathaus. Das Foto stammt aus der Sammlung des Autors Hermann Rieker.
Gedanken von Hermann Rieker
Ich vergleiche das Reutlinger Stadtbild gerne mit einem
Gesicht, die Eindrücke meiner Jugend und auch zur Zeit der Pubertät sind mir
durchaus präsent, so wie ich älter wurde, ist natürlich auch das Gesicht der
Stadt "gealtert", es hat Falten und Flecken bekommen. In der Jugend
waren Abbruch und Neubauten der Zeitgeist. Die Stadtverwaltung unter Kalbfell
hat das massiv forciert. Mit der Konsequenz, dass die Besitzer der
Altstadthäuser auf Investitionen verzichteten oder gar der Stadt oder GWG zum
Kauf anboten, in der Erwartung einer flächendeckenden Sanierung der
Objekte durch Abriss und Neubebauung im Stil der Zeit (Flachdach, Beton,
autogerechte Straßenführung).
So verschwanden beispielsweise Klein-Venedig und die
Alteburginsel sang- und klanglos. Dies setzte sich in den folgenden Jahren
fort. Eine klaffende, bis heute nicht verheilte Wunde riss der Bau des
Rathauses in die Altstadt. Ein ganzes Viertel wurde abgetragen, der damalige
Stadtwerkeflügel zur Lederstraße hat einen nicht wieder gut zu machenden
Eingriff in gewachsene Strukturen zu Folge gehabt, der auch heute noch mit
Händen zu greifen ist. Sie haben in Ihrem Post vom 17.12. anhand von Bildern
gezeigt, welche Verluste man bilanzieren muss: Klein-Venedig im
Nachkriegszustand, Spendhausgasse (ein Teil der Altstadt der der
Stadtbibliothek und der VHS geopfert wurde, obwohl dieser Teil vom
Stadtbrand von 1726 verschont wurde), Karlsplatz mit Samenhaus Sprandel im
Nachkriegszustand, Wässere, Lindachgarage (im nachhinein ein tolles Beispiel
für einen Zweckbau aus den 20er Jahren), die Brache des Max-Moritz-Geländes an
der Stuttgarter Straße und die obere Gartenstraße/Beutterstraße).
Ich komme nochmals auf das Gesicht einer Stadt zurück: Ein
Gesicht verändert sich natürlich im Laufe des Lebens, es altert, bekommt Falten
und doch hat es über die ganze Lebensspanne Grundlinien, die konstant bleiben.
Wie ist es, wenn wir dies auf das Stadtbild von Reutlingen übertragen. Da muss
man konstatieren, es hat ganz erheblichen Schaden gelitten, über weite Strecken
ist es nicht einmal mehr in Ansätzen wieder zu erkennen, Nun weiß ich auch,
dass die Denkmalpflege nur wenigen Gebäuden (es dürfte nicht viel mehr als eine
Handvoll sein), absoluten Schutz zuspricht, eine Folge des verheerenden
Stadtbrandes und des raschen und mangels Zeit und Ressourcen raschen und
billigen Wiederaufbaus. So sind in dieser Zeit praktisch keine
Denkmäler entstanden, aber das Ensemble, das dennoch entstand, wurde leider von
der Denkmalpflege, die immer auf herausragende Einzeldenkmale sich
konzentrierte, eigentlich nie als schutzwürdig angesehen. So stehen wir dank der Entwicklung der
Nachkriegszeit bis heute eigentlich vor einem "Trümmerfeld",
Man nehme nur den Zwiefalter Hof, was für ein sozialer Slum
ist daraus geworden. Bei anderen Stellen
der "Altstadtsanierung" aus dieser Zeit kann man
einen ähnlichen Entwicklungsstand konstatieren. Was dringend
erforderlich ist, wenn dieser Entwicklung bei anderen noch halbwegs intakten
Stadtarealen Einhalt geboten werden soll, ist die Errichtung von
Schutzzonen (andere nennen das Traditionsinseln) für diese Bereiche.
Glücklicherweise hat der Bildertanz bei K 8 die Pläne von Investoren, die mit
mehr oder weniger erkennbarer Sympathie der Stadtverantwortlichen gediehen,
veröffentlicht und die Meinung der Öffentlichkeit und die Diskussion
darüber führte dazu, dass man von der Totalsanierung Abstand genommen hat, was
aber aus dem Kammerlichtspieleareal ein kreativloses Architekturbüro
entwickelt will, sollte nicht verwirklicht werden, es gibt
bestimmt kreative Architekten, die sensiblere Planungen erstellen können.
Ich plädiere dafür, dass die Stadtverwaltung endlich sich
aufrafft und enge Leitlinien für den Erhalt der Altstadt erarbeitet und von
Anbeginn der Planung der Konzepte die Öffentlichkeit vollständig und
umfassend einbezieht, damit dem Gemauschele und der Politik der
vollendeten Tatsachen ein für allemal ein Ende geboten wird. Das ist nicht
einfach, aber unumgänglich, damit Planungen im fortlaufend kritisch
begleitet werden können. In diesem Zusammenhang seien am Stadtbild
interessierte auf den Band der Reutlinger Geschichtsblätter 2004 hingewiesen,
ich kann zwar dem Text in vielen Teilen nicht zustimmen, aber das dort
enthaltene Bildmaterial lässt einen schmerzhaft erfahren,
welche bleibenden Schäden dem Stadtbild ab den 60er Jahren zugefügt
wurden, es ist die Aufgabe der jetzt Interessierten darauf hinzu arbeiten,
dass diesem Treiben nachhaltig Einhalt geboten wird. Ich erwähne hier
zum Abschluss nur noch einmal den Abriss des GWG-Gebäudes, der dem
Stadtbild hier nicht wieder gutzumachenden Schaden zugefügt hat.
Bildertanz-Quelle:Sammlung Hermann Rieker